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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 27.03.2006:

Neue Energie für die zweite Chance

In einem Jahr zur Ausbildungsreife
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Projekt "Ich pack das"

"Ausbildung ist mehr als nur eine Unterbrechung der Freizeit"
Im Rahmen von "Ich pack das! Ein Projekt zur Ausbildungsvorbereitung" werden seit dem ersten Oktober 2004 an mehreren RWE-Standorten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg pro Jahr insgesamt bis zu 100 Jugendliche fit für die Berufsausbildung gemacht. Die einjährige "Ausbildung vor der Ausbildung" soll grundlegende Qualifikationen und Tugenden der Arbeitswelt vermitteln und die jugendlichen Teilnehmer zur Ausbildungsreife führen. "Ich pack das!" richtet sich an Hauptschüler, die sich nach Abschluss der Schule vergeblich um einen Ausbildungsplatz beworben haben. "Es ist nicht nur wichtig, dass der Aktienkurs stimmt, sondern dass man auch etwas für die Menschen tut, die keine Arbeit bekommen. Gerade bei jungen Leuten ist das unerlässlich", erklärt Annette Nimzik, die der Abteilung "Personalentwicklung Konzern" vorsteht und "Ich pack das!" bundesweit koordiniert.

"Wir möchten gezielt die Gruppe der Hauptschüler fördern, die die geringsten Chancen am Ausbildungsmarkt haben", bestätigt Bert Wallraf. Er betreut die berufsvorbereitenden Maßnahmen bei der "RWE Power", die an ihren Standorten in Lingen, Bergheim/Frechen, Grevenbroich und Eschweiler gut die Hälfte aller "Ich pack das" Teilnehmer fit für die Ausbildung macht. "Die Hauptprobleme sind ganz klar Bildungsdefizite im Rechnen, in der Rechtschreibung und in den naturwissenschaftlichen Bereichen. Aber auch Grundtugenden wie Durchhaltevermögen, Arbeitsstabilität, Zuverlässigkeit, Lernbereitschaft und Selbstbewusstsein fehlen oft", erklärt der Ausbildungsleiter. Morgens zur Arbeit zu fahren, wenn es draußen regnet oder einen achtstündigen Arbeitstag durchzustehen, dass sei für viele noch nicht selbstverständlich. Die Jugendlichen müssten mehr Motivation entwickeln und erkennen, dass die Ausbildung wichtig für ihr Leben sei und nicht nur eine Unterbrechung der Freizeit.

Problem Ausbildungsreife
Das Niveau der Auszubildenden sei so schlecht, weil den Jugendlichen die entsprechenden Umfeldbedingungen fehlten, damit sie bereit wären, ihren Kopf einzusetzen und etwas zu lernen, erklärt Annette Nimzik und sie prangert gesellschaftlichen Missstände an, dass sich nicht anständig um die Jugendlichen gekümmert wird. "Den Jugendlichen ist es völlig fremd, dass sich jemand für sie interessiert, das kennen sie gar nicht. Viele Eltern kümmern sich einfach nicht um sie." Die Jugendlichen hätten dann das Gefühl, "ich bin allen Menschen gleichgültig, ich bin nichts wert".

Auch Experten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) bringen die nachlassende Ausbildungsreife der Jugendlichen, die unter Experten umstritten ist, vor allem mit Veränderungen der familiären Situation und daraus resultierend mit einer veränderten Ausbildungs- und Arbeitsmotivation in Verbindung. Und weiter heißt es im BIBB-Expertenmonitor: "Alles in allem sehen die Fachleute die Entwicklung der letzten 15 Jahre eher skeptisch. Sie glauben, dass die Leistungsfähigkeit der Lehrstellenbewerber gesunken sei. Dies gilt insbesondere für das durch die Schule vermittelte Wissen, ... die schriftliche Ausdrucksfähigkeit, die Beherrschung der deutschen Rechtschreibung und die Fähigkeit zum einfachen Kopfrechnen...."

Mit neuer Energie und Selbstvertauen zum Traumjob
Vor diesem Hintergrund wollen die Verantwortlichen mit "Ich pack das!" vor allem die Persönlichkeit der Jugendlichen stärken, denn vielen fehlt der psychologische Unterbau. Wer das "Ich pack das" Projekt absolviert, der soll Selbstvertrauen entwickeln und lernen, auf das eigene Können zu vertrauen. "Wir wollen die Jugendlichen wieder auf die Spur zu setzen, weil sie es ja eigentlich können", erklärt Annette Nimzik.

Wenn sie es geschafft haben, liegt die berufliche Zukunft der Jugendlichen nicht zwingend im RWE Konzern. "Wir machen die Jugendlichen auch fit für den externen Ausbildungsmarkt", unterstreicht Annette Nimzik. Die Hauptschüler absolvieren bei "Ich pack das!" ein spezielles Training für Bewerbungsgespräche und lernen durch Praktika unterschiedliche Betriebe und Berufsfelder außerhalb des Konzerns kennen. "Die jungen Leute entdecken, das ist etwas, das mir Spaß macht, da möchte ich gerne eine Ausbildung machen", beschreibt Bert Walraff die Vorteile der außerbetrieblichen Praktika.

Der 17-jährige Robert hat es gepackt: In Halle an der Saale hat er vor kurzem seine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker begonnen. Seinen "Traumjob" verdankt er dem RWE-Projekt. "Unser Ausbilder hat mir klar gemacht, wie wichtig Pünktlichkeit, Disziplin und Eigeninitiative im Berufsleben sind; dass ich mein Berichtsheft rechtzeitig abgebe und zuhause das Gelernte nachbereite. Und ich habe gemerkt, wie viel es bringt, sich mit anderen auszutauschen und nicht einfach nur allein sein Ding zu machen."
 
Der Austausch untereinander ist ein wichtiger Bestandteil von "Ich pack das!". In sechsköpfigen Gruppen arbeiten die Jugendlichen gemeinsam an kleinen, motivierenden Projekten, die schnell zum Erfolgserlebnis führen. Begleitet werden die Jugendlichen dabei von erfahrenen RWE-Ausbildern. "Wir legen sehr großen Wert darauf, dass jahrelange Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen vorliegt, und dass die Ausbilder neben ihrer sachlichen Kompetenz auch im pädagogischen Bereich ausreichend qualifiziert sind", so Bert Walraff. Das schaffe auch ideale Voraussetzungen für eine individuelle Förderung. Auch bei privaten Problemen stehen die Ausbilder den Jugendlichen als Ansprechpartner zur Verfügung. "Der Ausbilder kann sich in einer ganz anderen Intensität um die sechs Jugendlichen kümmern, als ein Lehrer mit dreißig Schülern. Das ist für die Jugendlichen ein völlig neues Gefühl", betont Annette Nimzik die Vorteile der kleinen Gruppen.

"Die jungen Leute müssen sich in der Lernumgebung wohlfühlen"
Das Projekt zur Ausbildungsvorbereitung setzt auf "ganzheitliches Lernen mit Kopf, Herz und Hand". Dafür ist es wichtig, dass "die jungen Leute sich in der Lernumgebung wohlfühlen", erklärt Walraff. "Wir bieten Räumlichkeiten mit idealen Voraussetzungen zum Lernen, egal ob es das schriftliche Lernen oder das Lernen in der Werkstatt ist. Durch Maßnahmen wie die gemeinsamen Teamwochen, bei denen die jungen Leute im Rahmen von erlebnispädagogischen Maßnahmen gefördert werden, wird auch eine ganz besondere Motivation hergestellt."
 
Der Arbeitstag der Jugendlichen in den Ausbildungszentren beginnt morgens mit der Theorie. In Kooperation mit den Berufsschulen vor Ort werden die elementaren Regeln der Rechtschreibung und des Rechnens ebenso aufgearbeitet wie die naturwissenschaftlichen Grundlagen. "Wir versuchen durch Fragestellungen aus dem täglichen Leben, die Probleme handlungsorientiert anzugehen", beschreibt Bert Walraff das Vorgehen in den Ausbildungszentren.

Es gibt Diskussionsrunden und Gruppenarbeiten, die Jugendlichen sollen aktiv mitarbeiten und sich selbständig um Lösungen bemühen. Aufgaben mit offenen Lösungen verlangen nach Improvisation. Nach zwei Stunden Theorie folgt dann die Praxis. Die Jugendlichen begeben sich in die Werkstatt und werden vor handwerkliche Aufgaben gestellt, die ihnen die Grundlagen der Metallverarbeitung vermitteln, und die nach kreativen Lösungen verlangen.

Modellprojekt mit Vorbildcharakter?
Für Bert Wallraf ist "Ich pack das!" ein großer Erfolg. "Durch die individuelle Betreuung gelingt es uns, Jugendlichen, die keine Chance haben einen Ausbildungsplatz zu bekommen, in einem Jahr zur Ausbildungsreife zu führen". Die Vermittlungsquote von 76 Prozent scheint ihm Recht zu geben. "Das muss man ein bisschen relativieren", rückt der Ausbildungsleiter die Statistik gerade. "Wir sind natürlich stolz auf unsere Quote, aber trotzdem wählen wir aus. Wir gehen gezielt auf die Hauptschüler zu, bei denen wir der Meinung sind, dass die Chance hoch ist, sie in einem Jahr zur Ausbildungsreife zu führen. Die ganz aussichtslosen Fälle nehmen wir nicht."

Ein ambitioniertes Projekt wie "Ich pack das" lässt sich des Weiteren nicht ohne die nötigen finanziellen Ressourcen stemmen. "Wenn man allerdings durchrechnet, wie viel Geld in den öffentlichen Maßnahmen pro Teilnehmer aufgewendet wird, ist das wesentlich weniger, als das, was wir pro Teilnehmer aufwenden", stellt Annette Nimzik fest. Vier Millionen Euro sind für die Förderung der Jugendlichen im Rahmen von "Ich pack das" eingeplant.

Die Ausbildung vor der Ausbildung ist zunächst auf drei Jahre befristet. Das dritte Jahr beginnt in diesem Oktober, eine Entscheidung wie es weitergeht, haben die Verantwortlichen noch nicht getroffen. Doch Annette Nimzik ist von "Ich pack das!" überzeugt: "Ganz weit gedacht könnte ich mir sogar vorstellen, dass das eine Überlegung für viele Firmen sein könnte, etwas ähnliches aufzubauen, als Vorstufe für die eigene Ausbildung."

Seinen Vorbildcharakter hat das Projekt bereits unter Beweis gestellt. "Ich pack das!" wurde bei dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie der Bundesagentur für Arbeit initiierten Förderpreis Jugend in Arbeit von der Landesjury aus Sachen-Anhalt zu einem der fünf Landessieger gekürt. "Ich pack das!" hat sich damit für das Finale des Förderpreises qualifiziert, der am 2. Mai von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering in Berlin verliehen wird und bei dem zweckgebundene Fördergelder in Höhe von 3,4 Mio. Euro vergeben werden.

Autor(in): Matthias Denke
Kontakt zur Redaktion
Datum: 27.03.2006
© Innovationsportal

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