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Erschienen am 05.09.2024:
„Weg vom Gießkannenprinzip.“
Mit dem Startchancen-Programm sollen Bundesmittel erstmalig zielgenau und bedarfsgerecht an die Länder verteilt werden
Das Startchancen-Programm unterstützt in den kommenden zehn Jahren rund 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. Es soll zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen und den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln. Für das bisher größte Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland investieren Bund und Länder zusammen rund 20 Milliarden Euro.
Nationale und internationale Untersuchungen wie der IQB-Bildungstrend, die IGLU- oder die PISA-Studie belegen, dass der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängt. Sie zeigen auch, dass die Leistungen der Grundschüler*innen in den Basiskompetenzen deutlich zurückgehen, das Bildungsniveau in Deutschland insgesamt sinkt und ein hoher Teil junger Menschen die Schule ohne die nötigen Kompetenzen für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben verlässt.
Das Startchancen-Programm
Mit dem Startchancen-Programm, das am 1. August 2024 gestartet ist und eine Laufzeit von zehn Jahren hat, wollen Bund und Länder dagegen lenken und eine bildungspolitische Trendwende herbeiführen. Es soll zielgenau dort unterstützen, wo die Herausforderungen am größten sind und Unterstützung am dringendsten gebraucht wird: an Schulen mit einem hohen Anteil an sozioökonomisch benachteiligten Schüler*innen. „Das ist ein echter Paradigmenwechsel in der bildungspolitischen Förderlogik“, hebt Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hervor. Es bedeutet, nicht wie bisher nach dem alle Schulen gleichermaßen berücksichtigenden Gießkannenprinzip zu unterstützen, sondern Fördergelder zielgenau und an der Sache orientiert zum Einsatz zu bringen. Damit will das Startchancen-Programm dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems in Deutschland nachhaltig zu verbessern, die Bildungs- und Chancengerechtigkeit zu erhöhen und den starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzubrechen. Alle Kinder und Jugendlichen sollen in Deutschland unabhängig von ihrer Herkunft die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihre Talente zu entfalten. Dafür investieren Bund und Länder in den nächsten zehn Jahren zusammen rund 20 Milliarden Euro und machen das Startchancen-Programm damit zum bisher größten Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Hilfen, sondern um eine Veränderung des Bildungssystems. Der Bildungserfolg soll von der sozialen Herkunft entkoppelt werden und mehr Chancengerechtigkeit in der schulischen Bildung ermöglichen.
Dort unterstützen, wo die Herausforderungen am größten sind
2.125 Schulen, davon sind 1.389 Grundschulen, haben das Startchancen-Programm zum Schuljahresbeginn 2024/25 aufgenommen. Bis zum Schuljahr 2026/27 soll es in Deutschland rund 4.000 Startchancen-Schulen in herausfordernden Lagen geben. Die Auswahl der geförderten Schulen erfolgt durch das jeweilige Land anhand wissenschaftsgeleiteter Kriterien, die sich an den Zielsetzungen des Startchancen-Programms orientieren. Schulen können sich nicht selbst bewerben. Die Höhe der Fördergelder, die ein Land vom Bund für das Startchancen-Programm erhält, berücksichtigt die sozialen Rahmenbedingungen, insbesondere den Anteil junger Menschen in Armut und mit Migrationshintergrund.
Stärkung der Basis- und Zukunftskompetenzen
Da vor allem in den ersten Schuljahren die Weichen für den Bildungserfolg gestellt werden, haben sich Bund und Länder darauf verständigt, vermehrt Grundschulen zu unterstützen. Konkret sollen 60 Prozent aller Mittel den Grundschulen zur Verfügung gestellt werden. 40 Prozent erhalten die weiterführenden und beruflichen Schulen, vorrangig Bildungsgänge der Berufs- und Ausbildungsvorbereitung. Der Fokus des Programms liegt auf einer Stärkung der Basiskompetenzen. 30 Prozent der Kinder beherrschen am Ende der vierten Klasse nicht die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen. „Wir haben uns deshalb das ambitionierte Ziel gesetzt, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die diese Mindeststandards nicht erreichen, an den künftigen Startchancen-Schulen zu halbieren“, betont die Bildungsministerin. Damit soll das Programm einen zentralen Beitrag dazu leisten, die rückläufige Kompetenzentwicklung von Schüler*innen umzukehren und den starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzubrechen. Die Kinder und Jugendlichen sollen außerdem zu demokratischer Teilhabe befähigt werden, in ihren sozio-emotionalen Kompetenzen und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden.
Unterstützung der Schulentwicklung
Um die Ziele des Startchancen-Programms zu erreichen, wird an den Startchancen-Schulen in drei verschiedenen Programmsäulen investiert. 40 Prozent der Fördermittel werden für eine lernförderlichere Infrastruktur und Ausstattung der Schulen eingesetzt. Die entstehenden Lernorte - Lernlabore, Multifunktionsräume, Werkstätten, Ateliers, Erholungsangebote im Außenbereich sowie attraktive Arbeitsplätze und Arbeitsbereiche für das pädagogische Personal - sollen modern, klimagerecht und barrierefrei sein und die pädagogische Arbeit in heterogenen Lerngruppen, die Motivation der Schüler*innen und die Lernerfolge unterstützen. Mit der zweiten Säule wird die Schulautonomie gestärkt. 30 Prozent der Mittel fließen in bedarfsgerechte Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung, beispielsweise in zusätzliche, gezielte Lernförderung in den Kernfächern Deutsch und Mathematik. Damit können die Startchancen-Schulen Lösungen umsetzen, die zu den konkreten Herausforderungen vor Ort passen. Weitere 30 Prozent werden in die Stärkung multiprofessioneller Teams investiert. Neben Sozialpädagog*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Psycholog*innen sollen auch pädagogische Fachkräfte anderer Disziplinen ihre Stärken und Expertise einbringen können. Hierdurch soll die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams an den Startchancen-Schulen ausgebaut und weiterentwickelt werden, um Schüler*innen gut beraten und unterstützen zu können, eine lernförderliche Atmosphäre zu den Eltern zu schaffen und eine positive Schulkultur zu erwirken.
Wie genau die Gelder eingesetzt werden, entscheiden die Länder. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt bedarfsorientiert und schulbezogen. Die Länder bauen ergänzend dazu entsprechende Strukturen in der Bildungsverwaltung auf. Das sind Begleitstrukturen für Qualifizierungs- und Professionalisierungsprozesse, Kooperations- und Austauschformate, die eine datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung fördern und/oder Angebote, die die berufliche Orientierung unterstützen und zur Öffnung der Startchancen-Schulen in den Sozialraum beitragen.
Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation
Damit das Startchancen-Programm die größtmögliche Wirkung erzielt und die Startchancen-Schulen Modellcharakter entwickeln, wird es über die gesamte Laufzeit wissenschaftlich begleitet. Der ausgewählte Forschungsverbund unter der Leitung von Prof. Dr. Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, wird die Begleitstrukturen in den Ländern mit wissenschaftlicher Expertise unterstützen, die Startchancen-Schulen bei der Programmumsetzung evidenzbasiert begleiten und Erkenntnisse darüber gewinnen, wie die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen unabhängig von der sozialen Herkunft gestärkt werden kann. Dafür arbeitet der Forschungsverbund interdisziplinär und an der Schnittstelle zwischen Bildungsforschung, Bildungspraxis und Bildungsverwaltung. Im Zusammenwirken mit der externen Evaluation soll die Wirksamkeit des Startchancen-Programms außerdem kontinuierlich kontrolliert und bei Bedarf entsprechend nachgesteuert werden. So soll eine Kultur der Veränderung und der Innovation in den Strukturen und Abläufen schulischer Bildung entstehen, die auch über das Startchancen-Programm hinaus wirkt.
Autor(in): Petra Schraml
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Datum: 05.09.2024
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Links zum Thema
- Startchancen-Programm
- Das Startchancen-Programm startet
- Das Startchancen-Programm in der Projektedatenbank des Innovationsportals
- Deutscher Bildungsserver: Bildungsgerechtigkeit
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