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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 27.02.2014:

„Wir wollten Materialien erstellen, die man im Unterricht einsetzen kann.“

Werkstatt der bpb richtete Workshops zur Entwicklung freier Bildungsmaterialien aus
Das Bild zum Artikel
Miriam Menzel

Die Werkstatt der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) entwickelte im Jahr 2013 mit Lehrenden der schulischen und außerschulischen Bildung sowie Expert/inn/en im Bereich von Open Educational Resources (OER) in mehreren Workshops kollaborativ und offen freie Bildungsmaterialien zu den Themen „Rechtsextremismus” und „Erster Weltkrieg.” Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Miriam Menzel von der Werkstatt über Ziele, Vorgehensweisen und Ergebnisse der Workshops.

Online-Redaktion:
Wie entstand die Idee zu den Workshops „Rechtsextremismus“ und „Erster Weltkrieg“?

Menzel: Dafür gab es mehrere Beweggründe. Die werkstatt.bpb.de – Digitale Bildung in der Praxis –, ein Kooperationsprojekt der Kooperative Berlin und der Bundeszentrale für politische Bildung, ging im Herbst 2011 online. Im gleichen Jahr gab es eine große öffentliche Debatte um die geplante Einführung des so genannten Schultrojaners. Spätestens da zeigte sich, dass Lehrkräfte Bildungsmaterial der Schulbuchverlage nicht beliebig kopieren, bearbeiten und mit anderen austauschen können, sondern dass dieses Vorgehen lizenzrechtlichen Einschränkungen unterliegt. Darüber haben sich viele Lehrende zuvor keine Gedanken gemacht. Seitdem gibt es in Deutschland eine Diskussion u.a. darüber, wer freie Bildungsmaterialien - Open Educational Resources (OER) – herstellen soll, welche Rechte Anwender/innen und Producer/innen haben und unter welcher Lizenz die Materialien stehen sollen. Spätestens seitdem begleitet uns das Thema. Wir haben zudem schnell festgestellt, dass Deutschland international zurück liegt und es im Bildungsbereich noch viel „Aufklärungsbedarf“ über Chancen und Nutzen von OER gibt. Auf internationaler Ebene wird die Diskussion um OER schon sehr viel länger geführt, bereits 2002 hat die UNESCO eine Erklärung zum Thema abgegeben. Darüber hinaus haben wir auf vielen Veranstaltungen beobachtet, dass über OER oft nur auf einer Meta-Ebene geredet wird, aber kaum einer OER macht bzw. dass es oft „Einzelkämpfer“ sind, die OER entwickeln. Diese wollten wir an einen Tisch bringen und auch „Neulingen“ Lust auf das Thema OER machen.

Online-Redaktion: Welche Themen und Ziele standen bei den Workshops im Vordergrund?

Menzel: Wir wollten Bildungsmaterialien erstellen, die man im Schulunterricht und an außerschulischen Lernorten einsetzen kann. Wir haben beide Workshop-Reihen – jeweils drei Workshops zu den Themen „Rechtsextremismus“ und „(100 Jahre) Erster Weltkrieg“ – im Frühjahr 2013 gestartet und den ganzen Prozess unter den Titel „Open Educational Development“ gestellt. Diese Bezeichnung schien uns passender als OER, weil wir einen ganz starken Fokus auf das Entwickeln legen wollten. Die Workshops bauten aufeinander auf, waren aber immer offen für neue Teilnehmer/innen. Uns war es wichtig, dass nicht nur das Ergebnis, also die Materialien, die wir erstellen wollten, offen sind, sondern der gesamte Prozess. Das Ziel war, ein Netzwerken der Teilnehmer/innen zu ermöglichen und gemeinsam in der Gruppe etwas zu entwickeln. Das konnten konkrete Materialien sein, ein Arbeitsblatt, eine Seite, didaktisiertes Material. Es konnten aber auch erst einmal nur Projektideen sein.

Online-Redaktion: Wer hat an den Workshops teilgenommen?

Menzel: Unser großes Ziel und Glück war, dass unsere Teilnehmenden aus ganz unterschiedlichen Bereichen kamen. Es waren immer Lehrende von unterschiedlichen Schultypen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Lernsettings vertreten, aber auch außerschulische Akteure, Mitarbeiter/innen von Universitäten und sehr technikaffine Entwickler/innen von Bildungsmaterialien, die OER sofort auch immer digital gedacht haben.

Online-Redaktion:
Wie wurde der Prozess gesteuert?

Menzel: So wenig wie möglich. Uns ging es darum, die Teilnehmer/innen machen zu lassen. Wir haben weder die Teilnehmerzahl noch das Ergebnis in irgendeiner Form vorgeschrieben oder begrenzt. Aber es war uns schnell klar, dass wir diese vielen verschiedenen Anwender/innen und Entwickler/innen von Bildungsmaterialien nur dann dahin bringen, gemeinsam etwas zu entwickeln, wenn wir den Prozess ein wenig lenken und in die Hand nehmen. Deshalb haben wir die Rahmenbedingungen vorgegeben, Expert/inn/en ausgewählt und eingeladen, Vorträge zu konkreten Themen zu halten, und z.B. einen Datenjournalisten gebeten, einen kleinen Input darüber zu geben, welche Daten zum Ersten Weltkrieg und welche offenen Softwaretools es gibt, um sie zu bearbeiten, und inwiefern diese für Schulen geeignet sind oder nicht. Außerdem haben wir die Teilnehmer/innen ermuntert, in Kleingruppen eigene Ideen vorzustellen und mit den anderen daran weiterzuarbeiten. Das war aber keine Voraussetzung. Viel ist im Prozess selbst entstanden.

Online-Redaktion: Zu welchen Ergebnissen kamen die Workshops?

Menzel: Beim Thema „Rechtsextremismus“ hat sich schnell gezeigt, dass die Teilnehmenden großes Interesse am Thema „Alltagsrassismus“ hatten. Sie wollten über etwas sprechen, was täglich in unserer Gesellschaft stattfindet. So sind beim kollaborativen Arbeiten einige Alltagsdialoge zum Thema „Alltagsrassismus“ entstanden, die man im Unterricht sofort einsetzen kann.
Außerdem sind Ideen entwickelt worden, wie man Institutionen, die sich mit den Themen „Rechtsextremismus“ oder „Erster Weltkrieg“ beschäftigen – also Museen, Archive, Stiftungen u.ä. –, dafür sensibilisieren kann, OER oder Grundlagen für OER zu produzieren. Denn es gibt zwar viele aktive Institutionen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, aber wenig leicht zugängliches, frei lizenziertes Material oder überhaupt das Bewusstsein dafür, dass Lizenzen von Fotos oder Texten klar ausgezeichnet sein sollten. Auch gibt es von beiden Workshop-Strängen zwei, drei konkrete Projektideen, die wir 2014 im Rahmen des Projekts werkstatt.bpb weiter entwickeln wollen.

Online-Redaktion: Wie hat das kollaborative Arbeiten funktioniert?

Menzel:
Soweit gut, aber die Zeit in den Workshops war doch etwas knapp. Wir haben deshalb die Teilnehmer/innen dazu ermuntert, in der Zeit zwischen den Workshops an ihren Ideen weiterzuarbeiten. Tatsächlich hat eine Teilnehmende zwischen dem zweiten und dritten Workshop einen kompletten Dialog zum Thema „Alltagsrassismus“ entwickelt. Diesen hat sie im dritten Workshop vorgestellt, und die ganze Arbeitsgruppe hat dann gemeinsam Didaktisierungsvorschläge entwickelt. Insgesamt ist es aber doch sehr schwer, die Leute zu animieren, ihre knappe Freizeit dafür herzugeben.

Online-Redaktion: Sie hatten keine konkreten Vorstellungen vom Endergebnis, aber gab es Vorbilder?

Menzel: Nicht direkt. Wir haben Vorgehensweisen wie zum Beispiel „Schulbuch-O-Mat“ vorgestellt, wir selbst wollten aber den Prozess und das Ergebnis offen halten. Wir wollten uns überraschen lassen, mit welchen Erfahrungen die Teilnehmer/innen in den Workshop kommen und wie es ihnen gelingt, ihre Vorstellungen und Ideen produktiv zusammenführen. Zum Teil wurde durchgehend vom ersten bis zum dritten Workshop an konkreten Ideen weitergearbeitet, dann kamen aber auch immer wieder neue Ideen dazu. In der Workshop-Reihe zum Ersten Weltkrieg haben wir versucht, mit Europeana-Material zu arbeiten. Auf der Plattform gibt es einen eigenen Teil zu der Zeit 1914 bis 1918. Neben der Europeana Collection, in der Bibliotheken aus Europa Teile ihrer Sammlung einstellen, gibt es einen Crowdsourcing-Teil, der in ganz Europa private Erinnerungsstücke sammelt und sie in einem digitalen Archiv öffentlich zugänglich macht. Dieser Teil steht komplett unter einer offenen Lizenz. Man kann die Dateien als Lehrer verwenden, bearbeiten und (wieder) veröffentlichen, aber sie sind nicht didaktisiert. Es fehlen Hinweise, wie man sie im Unterricht verwenden kann. Hierzu haben wir erste Vorschläge entwickelt.

Online-Redaktion: Welche Schwierigkeiten traten bei den Workshops auf?

Menzel: Problematisch war, dass dadurch, dass der Prozess offen gestaltet war und zu jedem Workshop neue Teilnehmer/innen hinzu kamen, wir immer wieder Grundinformationen liefern mussten, damit alle auf dem gleichen Stand waren. Zugleich wollten wir aber die Teilnehmer/innen innerhalb eines Workshop-Tages dahin bringen, sich eigene Ideen für Projekte und Materialien auszudenken. Das war die große Herausforderung, vor der wir standen. Dabei stellte es sich als schwierig heraus, von den notwendigen Basisinformationen zum tatsächlichen Machen zu kommen. Dazu fehlte oft die Zeit. Ein längerer Arbeitszeitraum und eine konstante Gruppe wären also durchaus sinnvoll.
OER ist für viele in Deutschland nach wie vor Neuland, Interessierte zu finden, gelingt eigentlich nur über ein ansprechendes Thema. Das hat bei uns gut funktioniert. Die Teilnehmenden hatten großes Interesse, Inhalte zu den Themen „Rechtsextremismus“ und „Erster Weltkrieg“ zu entwickeln. Es hat sich auch gezeigt, dass es an vielen verschiedenen Orten und unter vielen verschiedenen Anwender/inne/n und Entwickler/inne/n von Bildungsmaterialien gleiche Fragestellungen gibt. Aber es war eine schwierige Aufgabe, diese Menschen aus ihren unterschiedlichen Berufen auf einen Wissensstand zu bringen und all ihre Bedürfnisse und Talente gewinnbringend einzubeziehen. Das ist uns zum Teil gelungen, aber zum Teil bräuchte es vielleicht doch ein anderes Format.

Online-Redaktion:
Wie geht es mit den Projekten in diesem Jahr weiter?

Menzel: Die Workshop-Reihe ist abgeschlossen, die Ergebnisse sind online und können von jedem benutzt und bearbeitet werden. Die Workshops wurden live gestreamt und in Onlineprotokollen (etherpads) dokumentiert. Alles ist auf unserer Seite werkstatt.bpb.de einsehbar. In diesem Jahr hat werkstatt.bpb vor, mindestens zwei Bildungsmaterialien prototypenhaft zu entwickeln. Dazu werden wir ein oder zwei Ideen aus der vorherigen Reihe aufgreifen und weiterentwickeln. Wir wollen auch hier wieder mit Entwickler/inne/n und Anwender/inne/n unterschiedlichster Berufsfelder zusammenarbeiten. Auch wird es in diesem Jahr wieder eine große OER-Konferenz geben, an der sich werkstatt.bpb beteiligen möchte. Das Thema OER wird uns definitiv weiter beschäftigen.

Außerdem stellen wir, wann immer es möglich ist, Fotos, Videos und Texte unter eine freie Lizenz – z.B. CC BY-SA –, die es auch anderen erlaubt, damit zu arbeiten. Und wenn wir im Gespräch mit anderen Produzent/inn/en von Bildungsmaterialien sind, bringen wir das Thema natürlich auch auf die Agenda und bitten alle darum, Materialien unter offene Lizenzen zu stellen. So versuchen wir, den OER-Prozess voranzutreiben und bekannter zu machen.



Miriam Menzel
ist Historikerin, Onlineredakteurin, Projektmanagerin. Bei der Kooperative Berlin sucht sie permanent nach Verknüpfungen: Wie passen Digitalisierung und historisch-politische Bildung zusammen? Wie kommen Forschung und breitere Öffentlichkeit zueinander? Wie können verschiedene Anwender/innen und Entwickler/innen von Bildungsmaterialien gemeinsam Neues entwickeln? Aktuelle Projekte & Vorlieben: DeineGeschichte, Montagsradio, Werkstatt.bpb, Veranstaltungsdokumentation, Konzeption & Moderation von Workshops & Fortbildungen. Miriam Menzel hat die Workshop-Reihe der Werkstatt.bpb zum Thema „Rechtsextremismus" mit begleitet und die Reihe zum „Ersten Weltkrieg“ mit konzipiert und geleitet.





Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 27.02.2014
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