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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.03.2018:

„Wir erhoffen uns, dass die Kinder der Familien, die an der Maßnahmenkette teilnehmen, erfolgreiche Bildungsverläufe haben werden.“

Die Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Prof. Dr. Olaf Köller

Die Stadt Bremen baut in Kooperation mit der Wissenschaft und mit Unterstützung großzügiger Förderer eine Angebotsstruktur zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung auf. Dabei werden auch Träger von Kitas eingebunden, Gesundheitsbehörden, Kliniken, Ärzte und andere Multiplikatoren. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN ‒ Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und Sprecher des wissenschaftlichen Konsortiums, das die Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung, kurz BRISE, begleitet, über die Ziele des Programms.


Online-Redaktion: Was ist BRISE ‒ die Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung?

Köller: Mit BRISE will die Stadt Bremen die Entwicklung von Kindern in ihren ersten Lebensjahren fördern. Die Stadt baut insbesondere für sozial benachteiligte Familien eine umfassende Angebotsstruktur auf, mit der Kinder von 0 bis 8 Jahren und ihre Familien wirkungsvoll unterstützt werden. Sieben Angebote zur Stärkung der frühkindlichen Entwicklung gehören zu BRISE und bilden eine Maßnahmenkette. Manche dieser Angebote richten sich direkt an die Familien. Sie lernen z. B., wie sie mit ihren Kindern zuhause Sprachförderung betreiben und mit ihnen üben können, damit sie mit besseren Voraussetzungen als bisher in die Schule übertreten, andere Angebote werden in Kindertageseinrichtungen durchgeführt. Die meisten Maßnahmen bestehen bereits und sind offen für alle Bremer Familien. BRISE wird wissenschaftlich begleitet, die Langzeitstudie untersucht systematisch, inwieweit eine solche Maßnahmenkette die gewünschten Effekte bringt, also inwiefern die Kinder sich günstiger entwickeln, und liefert damit wichtige Informationen über Wirkungen frühkindlicher Förderung.

Online-Redaktion: Welche Wissenschaftler/innen und Institute sind an BRISE beteiligt?

Köller: Die Initiative ist ein Joint Venture, an dem viele Partner, nicht nur die Wissenschaft, beteiligt sind. Der wichtigste Partner ist die Stadt Bremen, die ihr Betreuungsangebot für Kinder ausbaut und neben den bestehenden Angeboten eine Initiative zur weiteren Professionalisierung der Erzieher/innen im Kitabereich startet. Zweiter wichtiger Partner ist die Jacobs Foundation aus der Schweiz, die den Ausbau der beteiligten Programme und die Stadt Bremen in der Kommunikation nach außen sehr stark unterstützt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die wissenschaftliche Begleitung der Initiative, die von einem wissenschaftlichen Konsortium mit neun Konsortialpartnern wahrgenommen wird. Dazu gehören das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, die Universität Bremen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, die Universität Bamberg, die Freie Universität Berlin, die Universität Heidelberg und das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung.

Online-Redaktion: Wieso fiel die Wahl auf Bremen?

Köller: Es gab verschiedene Städte, die als Standort in Frage kamen, neben Bremen beispielsweise auch Nürnberg, Duisburg, Essen oder Düsseldorf. Das sind alles Städte, die sich dadurch auszeichnen, dass sie vergleichsweise viele Familien in schwierigen sozialen Lagen aufweisen. Oft sind das Familien mit Zuwanderungshintergrund, in denen Sprachförderung wichtig wird. Bremen war für uns besonders attraktiv, weil dort nicht nur jedes zweite Kind, das eingeschult wird, einen Zuwanderungshintergrund hat, sondern auch, weil Bremen seit Jahren relativ schwach bei den Schulleistungsstudien in der Grundschule, den so genannten Ländervergleichen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, abschneidet. Außerdem hat Bremen bereits eine breite Angebotsstruktur der frühkindlichen Förderung, auf die wir die Eltern im Rahmen der Initiative systematisch hinweisen können. Und wir haben uns auch deshalb für Bremen entschieden, weil seitens der Politik eine große Bereitschaft bestand, sich auf eine solche Initiative einzulassen und diese mit einem weiteren Ausbau des Betreuungsprogramms finanziell zu unterstützen.

Online-Redaktion: Welche Angebote zur Stärkung der frühkindlichen Entwicklung gehören zu der Maßnahmenkette von BRISE?

Köller: Wir greifen im Wesentlichen auf die bereits bestehenden Angebote zurück. Das sind zunächst einmal so genannte Inhouse-Programme, bei denen die Familien zuhause aufgesucht werden. Bei den Programmen Opstapje und HIPPY werden die Eltern von geschultem Personal dabei unterstützt, die Beziehung zu ihren Kindern durch verschiedene Aktivitäten zu stärken und ihre Kinder in der Sprachentwicklung der deutschen Sprache zu fördern. Diese Programme beginnen, wenn die Kinder 18 Monate alt sind, und gehen dann über mehrere Jahre. Andere Maßnahmen, wie das so genannte Pro Kind-Programm und TippTapp, bei denen es um das Gesundheits- und Hygieneverhalten geht sowie um die Anfänge der frühkindlichen Betreuung, setzen schon mit der Geburt ein. Dort werden die Eltern auf die ersten Lebensmonate vorbereitet und dabei begleitet. Auf diese häuslichen Programme baut das Kita-Programm auf, das die Stadt Bremen neu startet. Es ist ein Programm für über Dreijährige, in dessen Rahmen die Erzieher/innen weiter professionalisiert werden, um die allgemeine kognitive Entwicklung sowie das Sozialverhalten der Kinder zu fördern. Sie werden u.a. in der Sprachförderung sensibilisiert und lernen, die Kinder in leichte naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen einzuführen. Das Programm ist eng angelegt an das so genannte Pyramide-Programm aus den Niederlanden. Die Maßnahmenkette endet mit dem Programm Lobo, das Eltern und Lehrkräfte bei der Sprachförderung der Kinder beim Übergang in die Schule unterstützt.

Online-Redaktion: Welche Erfahrungen wurden bisher mit den Programmen gemacht?

Köller: Es sind alles Programme, die als Einzelprogramme schon evaluiert sind und für deren Wirksamkeit man eine gewisse empirische Evidenz hat. Aber alle diese Programme haben auch dahingehend Grenzen, dass die Effekte, die sie erzeugen, in der Regel nicht dauerhaft sind. Deshalb ist auch die Idee mit der Kette entstanden. Indem bei BRISE eine Unterstützungsmaßnahme systematisch der anderen folgt, vermeidet man, dass die Erfolge der vorherigen Maßnahme verschwinden. Man baut stattdessen auf den Erfolgen auf und fördert mit der nächsten Maßnahme weiter.

Online-Redaktion: Wie viele Familien werden in die wissenschaftliche Begleitung aufgenommen?

Köller: Etwa 1000 Familien aus Stadtteilen in Bremen, in denen vergleichsweise viele Familien leben, deren Armutsrisiko hoch ist, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und wo man relativ hohe Zuwanderungszahlen hat.

Online-Redaktion:
Können noch Familien mitmachen?

Köller: Die Initiative ist im Sommer 2017 gestartet, und die ersten Familien sind seit Oktober dabei, die ersten Kinder sind im Dezember geboren. Aber es ist ein laufender Prozess, bei dem Familien sich noch rund zwei Jahre anmelden können und dann ins Programm aufgenommen werden.

Online-Redaktion: Wie erreichen Sie die Familien?

Köller: Mit einer großen Kampagne. Wir versuchen, die unterschiedlichen Institutionen, Personen und Strukturen der Stadt Bremen einzubinden, damit sie junge Familien und werdende Eltern auf die Initiative ansprechen und anregen, sich zu beteiligen. Dazu gehören Multiplikatoren wie Kinderärzte, Hebammen, Apotheker/innen und Personal von Geburtskliniken. Wir verteilen aber auch Briefwurfsendungen, annoncieren in der Zeitung, hängen Plakate in öffentlichen Verkehrsmitteln auf, bringen kurze Spots im Radio, informieren an Infoständen in verschiedenen Stadtteilen und reden mit den Anbietern der bereits bestehenden Angebote, damit sie die Eltern ansprechen.

Online-Redaktion: Nehmen die beteiligten Familien an allen Programmen teil?

Köller: Das Ziel ist, dass eine Teilgruppe alle Maßnahmen durchläuft und die anderen Familien selbst entscheiden, welche Angebote sie wahrnehmen. Durch die Gegenüberstellung der beiden Gruppen kann man gut untersuchen, ob die Kinder, die sich an der Kette beteiligen, insgesamt günstigere Entwicklungsverläufe zeigen werden.

Online-Redaktion: Wie werden die Familien wissenschaftlich begleitet?

Köller: Die Universität Bremen hat dafür Personal geschult – Psychologen –, die den Familien zugeordnet werden und diese mit Befragungen etc. wissenschaftlich begleiten und schauen, wie sich die Kinder sozial, kognitiv, motorisch usw. entwickeln. Außerdem beraten sie die Familien darin, welche Maßnahme sie und ihr Kind als nächstes besuchen sollten. Es werden aber auch weitere Anlaufstellen in den verschiedenen Stadtteilen ausgebaut, an die sich die Familien wenden können, wenn sie Fragen zu BRISE haben.

Online-Redaktion: Welche Erkenntnisse erwarten Sie durch BRISE?

Köller: Die Erwartung auf Seiten der Eltern ist zunächst einmal, dass ihre Erziehungskompetenz gestärkt wird und dass die Qualität der Interaktion zwischen ihnen und ihren Kindern verbessert wird, damit sich die Kinder kognitiv, aber auch sozial und emotional günstiger entwickeln können. Ein zweites Ziel ist eine weitere Professionalisierung der Erzieherinnen und Erzieher. Entscheidend aber ist natürlich die Entwicklung der Kinder. Wir erhoffen uns, dass die Kinder der Familien, die an der Maßnahmenkette teilnehmen, erfolgreiche Bildungsverläufe haben und sich in der Schule gut entwickeln. Zunächst werden wir die Kinder bis in die Grundschule begleiten, aber unsere Idee ist, sie in Anlehnung an ähnlich geartete amerikanische Studien auch nach der Schule weiter zu befragen, bis ins Erwachsenenalter hinein, um zu sehen, ob sie ein geringeres Arbeitslosenrisiko, höhere Bildungsabschlüsse und höhere Lebenseinkommen haben. Wir beabsichtigen, die Familien und ihre Kinder auch in das sozioökonomische Panel zu übernehmen; hierbei handelt es sich um eine Haushaltsbefragung in Deutschland, in der Familien in ihrer Entwicklung langfristig wissenschaftlich begleitet werden.

Was wir uns natürlich auch erhoffen, ist der Transfer auf andere Städte. Wir wollen die Erfahrungen, die wir in Bremen sammeln ‒ wie man vorhandene Angebote so koordinieren kann, dass sie zum Wohl der Familien dienen ‒, auf andere große Städte, die ähnliche Probleme wie Bremen haben, übertragen.


Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN ‒ Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel, hat eine Professur für empirische Bildungsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; sein Forschungsschwerpunkt liegt in der systematischen Untersuchung von Bildungsprozessen über die Lebensspanne.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.03.2018
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